»Wir müssen da hin!«
Unvergessen ist mir dieser Satz von Michael, mit dem er ausdrückte, was wir beide eigentlich schon lange dachten. Interesse an der japanischen Kultur hatten wir schon länger, allem voran an der aktuellen japanischen Popkultur. Melonpan, Gatchapon, Gundam oder Sakura waren bei uns inzwischen Begriff aus dem alltäglichen Wortschatz. Konzerte japanischer Künstler hatten wir auch schon besucht, obwohl wir die Sprache nicht verstanden. Es war trotzdem immer ein großer Spaß und wir haben dort einige Menschen kennengelernt, die unsere Interessen teilen. War es nach dem Genuss von unzähligen YouTube-Videos aus Tokio für uns nicht an der Zeit, dort hinzureisen? Ungewöhnlich wäre das nicht. Viele Menschen verbringen dort ihren Urlaub, warum nicht auch wir?
Aber Tokio? Das ist weit weg und die Menschen dort sprechen doch nur Japanisch. Was würden wir dort essen? Wo würden wir schlafen und was würden wir dort tun? Auf viele Fragen hatten wir keine Antwort und eine Reise nach Japan erschien uns als ein Abenteuer. Aber am Ende siegten Fernweh und Neugier. Irgendwann haben wir beschlossen, es einfach zu tun.
Ein Blick vom Balkon unserer ersten AirBnB Wohnung
Auf die Dienste eines Reisebüros haben wir von Anfang an verzichtet, stattdessen wollten wir die Reise komplett eigenständig organisieren. Das war nicht schwer und die Flüge nach Tokio und zurück waren über die Webseite einer Fluglinie schnell gebucht. Jetzt gab es fast kein Zurück mehr. Um Geld zu sparen, hatten wir uns entschieden, nicht in einem Hotel zu übernachten, sondern eine Unterkunft über AirBnB zu suchen. Das erschien uns als eine günstige Alternative, obwohl wir mit dieser Plattform keine Erfahrung hatten. Letztendlich wählten wir eine Wohnung in Asakusabashi aus, nahe der Metro-Station Kuramae. Das dies eine gute Lage für eine Unterkunft ist, wussten wir bei der Buchung nicht. Wir entschieden uns für die Wohnung, weil sie vom Balkon einen Blick auf den Tokio Skytree bot. Außerdem sollte es dort einen Internetanschluss geben. Manche Entscheidungen sind einfach zu begründen. Damit war eigentlich alles geklärt. Wir hatten eine Wohnung, die wir in einer der größten Städte der Welt nur noch finden mussten.
Der Flug von Düsseldorf zum Flughafen Narita war lang, verlief für uns aber ohne Probleme. Bei der Einreise wurden unsere Fingerabdrücke genommen und Fotos gemacht, aber davon haben wir uns nicht irritieren lassen. Auffällig wäre es gewesen, wenn nur wir diese Prozedur über uns hätten ergehen lassen müssen. Das war aber nicht der Fall und so standen wir mit vielen anderen Touristen in einer Schlange und warteten auf die Dinge, die da kommen sollten. Andere Länder, andere Sicherheitsvorschriften. Auf dem Weg durch den Flugplatz mussten wir außerdem ein Gerät passieren, mit dem scheinbar unsere Körpertemperatur gemessen wurden. Vermutlich wollen die Japaner Einreisende mit hohem Fieber gar nicht erst vom Flughafen lassen. Falls es funktioniert, ist es keine schlechte Idee.
Nachdem wir unsere Koffer in Empfang genommen hatten, durchquerten wir den Zoll in Richtung Ausgang. Dort mussten wir lediglich unsere Ausweise erneut zeigen, denn zollpflichtige Artikel hatten wir nicht im Gepäck. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob es schon vor dem Zoll ausgeschildert war, aber direkt hinter dem Durchgang fanden wir mehrere Schalter, an denen Fahrkarten für Busse und Bahnen verkauft wurden. Genau das, was wir brauchten, denn der Flughafen Narita liegt etwa 60 Kilometer östlich von Tokio. Wir erklären einer hilfsbereiten Frau am Schalter, dass wir zur U-Bahn-Station Kuramae wollten. Sie verkaufte uns zwei Tickets und zeigte uns den Weg zu den Zügen. Wenig später waren wir erneut unterwegs. Ich kann nicht genau sagen, mit welchem Zug wir gefahren sind. Im Nachhinein betrachtet war es vermutlich die günstigste Verbindung, aber nicht die Schnellste. Aus dem Zug sahen wir kleine Siedlungen und Reisfelder. Das war unser erster Eindruck von Japan. Erst als sich der Zug Tokio näherte, wurden die Gebäude größer.
Der Bahnhof Kurame ist überschaubar und unsere Wohnung war nicht weit von der Station entfernt. Es war nur ein kurzer Fußmarsch, bis wir vor der gemieteten Unterkunft standen. Den Weg dorthin hatte ich mir zuvor stundenlang im Internet angesehen. Die Schlüssel für die Wohnungstür fanden wir in einem kleinen Kasten, der mit einem Zahlenschloss gesichert war. Die Kombination hatte uns der Vermieter zuvor in einer Nachricht mitgeteilt. Es hatte alles wie geplant funktioniert. Wie versprochen, konnten wir vom Balkon den Skytree sehen. Wir waren in Tokio angekommen. Daran bestand jetzt kein Zweifel mehr.
Rückblickend betrachtet war unser Abenteuer in vielen Aspekten weniger aufregend als befürchtet. Der Flug, und die Fahrt vom Flughafen in die Stadt, verliefen problemlos. Die Wohnung haben wir leicht gefunden. Jetzt konnte uns nicht mehr viel passieren. Verhungern würden wir ebenfalls nicht. Schon auf dem Weg von der Metro Station Kuramae zu unserer Unterkunft hatten wir einige Supermärkte und Restaurants gesehen. Alles andere würde sich ergeben. Tatsächlich war das größte Problem unserer ersten Reise, die Waschmaschine in der Wohnung in Betrieb zu nehmen.
Tokio ist kein Ort, vor der man Angst haben muss. Unbestreitbar ist es eine der größten Metropolen auf unserem Planeten, doch das sieht man der Stadt in weiten Teilen nicht an. Tokio ist sauber und der Straßenverkehr, selbst auf vierspurigen Straßen und verglichen mit Deutschland, minimal. Für die Olympischen Spiele in Japan im Jahr 2020 wurden viele Orte mehrsprachig beschildert. Mit solidem Englisch kommt man in Tokio deshalb recht weit. Zumindest dann, wenn man mit den Einheimischen keine längeren Gespräche führen möchte. Viele junge Japaner haben zwar rudimentäre Kenntnisse der englischen Sprache, sind aber oft zu scheu, um sie anzuwenden.
Unser erstes Abendessen in Tokio
Die Menschen in Tokio legen großen Wert darauf, dass alles reibungslos funktioniert. Ich habe Parkhäuser gesehen bei denen vier Personen in Uniform die Ein- und Ausfahrt regelten und an vielen der größeren U-Bahnstation gibt es Personal, das aufpasst und die Reisenden betreut. An Baustellen sieht man fast immer uniformierte Personen, die scheinbar keine andere Aufgabe haben, als Passanten auf eventuelle Gefahren hinzuweisen. Dabei spielt die Größe der Baustelle keine Rolle. Ein Arbeiter rechtfertigt einen Aufpasser. In Deutschland begnügt man sich damit, Schilder aufzustellen.
Wir haben die Japaner als ausgesprochen hilfsbereit kennengelernt. Manchmal genügt es schon, für ein paar Sekunden ratlos zu schauen, und sie werden versuchen, dir zu helfen. Selbst dann, wenn sie deine Sprache nicht sprechen. Das konnten wir in einer U-Bahnstation, in einem Waschsalon und auf den Straßen von Akihabara erleben. Als Kunden wurden wir in Geschäften ebenfalls immer sehr zuvorkommend behandelt. Für das Personal war es nie ein Problem, uns direkt zu einem gesuchten Artikel zu führen, wenn wir ihn selbst nicht fanden. Bisher habe ich keinen anderen Ort besucht, an dem ich mich so gut betreut und behütet gefühlt habe, wie in Tokio.
Unter einem Kulturschock haben wir bei unserem ersten Besuch in Japan nicht gelitten. Zwar waren für uns viele Dinge befremdlich, sie waren aber niemals unangenehm. Die größte Überraschung war, dass die Dinge, die wir aus Anime und Filmen kannten, keine Klischees, sondern Realität sind. Junge Mädchen in Schuluniformen sind in im Straßenbild nicht ungewöhnlich und auch Japaner, die in der Öffentlichkeit einen Mundschutz tragen, haben wir gesehen. Oft an belebten Orten wie der U-Bahn oder öffentlichen Plätzen. Die Menschen tragen diesen Schutz jedoch nicht, um sich vor Ansteckungen durch Krankheiten zu schützen, sondern, weil sie selbst ihre Mitmenschen nicht anstecken wollen. Ein gutes Beispiel für die gegenseitige Rücksichtnahme in Japan. Gerüchten zur Folge verwenden einige junge Frauen den Mundschutz, wenn die Zeit nicht für das morgendliche Makeup ausreichte.
Tokio hat ein typisches Straßenbild, das man, wenn man mit ihm vertraut ist, schnell wiederkennt und das in vielen Anime nachgeahmt wird. An manchen Hauptverkehrsstraßen trennen kleine Zäune und schmale Grünflächen die Bürgersteige von der Fahrbahn. Die Bürgersteige sind oft breiter, als es in Deutschland üblich ist. Außerdem sind sie zu großen Teilen gepflastert und nicht betoniert. Fußgängerampeln begleiten die Grünphasen ebenfalls mit einem sehr typischen Signalton. Einige real existierende Gebäude wurden sogar unverändert in Anime übernommen. Das Einkaufszentrum Radio Kaikan in Akihabara ist einer der Handlungsorte in der Serie Steins Gate. Die grüne Eisenbahnbrücke über die Chuo Dori Straße, ebenfalls in Akihabara, ist auch gelegentlich in Anime zu sehen.
Die berühmte Straßenkreuzung im Stadtteil Shibuya
Themen-Cafes sind in Tokio ebenfalls keine Seltenheit. Allen voran die berühmten Maid-Cafes, in den die Gäste von jungen Mädchen in bunten Kostümen bedient werden. Großer Beliebtheit erfreuen sich außerdem Cafes, in denen man Zeit mit Tieren verbringen kann. Die meisten Japaner werden nicht den Platz für eigene Haustiere haben und so besuchen sie diese Orte, wenn sie mit Katzen oder kleinen Hunden spielen wollen. Es dürfen aber auch ungewöhnlichere Tiere sein. Eulen oder Igel sind ebenfalls im Angebot. Die sind als Spielgefährten zwar weniger gut geeignet, für einen Großstadtbewohner aber viel exotischer.
Eine Frage, die mir seit meinen Besuchen in Tokio immer wieder gestellt wird, betrifft die Automaten, mit denen angeblich Unterwäsche von Mädchen verkauft wird. Dazu kann ich nur sagen, dass ich solche Automaten persönlich nie gesehen habe. Zahlreich scheinen sie nicht zu sein. Inzwischen wurde mir jedoch genau erklärt, wo diese Art von Maschinen stehen.